Von Nils Klute, IT-Fachredakteur und Projektmanager Kommunikation Cloud Services bei EuroCloud Deutschland_eco e.V.
Büros und Baustellen digital verbinden, um Abläufe zu beschleunigen, Kosten zu sparen und unternehmerische Chancen auszuschöpfen: Wie steht es um Deutschlands Handwerk und die Digitalisierung? Was das Handwerk vom Industrie-Service lernen kann. Und was E-Mail, Cloud Computing und elektrische Fensterheber gemein haben.
Fleckig, verfärbt und in die Jahre gekommen – Tapete und Wände in der eigenen Wohnung brauchen einen frischen Anstrich. Schnell ist die E-Mail an den Malermeister versendet. Prompt kommt der Anruf vom Betrieb, um einen Termin zu vereinbaren. Schon am nächsten Tag schaut der Mitarbeiter vorbei, um Wünsche zu besprechen und Maß zu nehmen. Via Tablet gelangen alle erforderlichen Daten über eine Mobilfunkverbindung direkt ins Büro. Und dank erfasster Stammdaten und elektronischer Abläufe erreicht das Angebot annähernd vollautomatisch die eigene E-Mail-Inbox. Vorteile der Digitalisierung wie diese sind es, mit denen der Malerbetrieb Adam Oswald bei der Kundschaft punktet – und das bereits seit 2015.
Branche verschenkt Produktivitätspotenzial
Das Unternehmen aus dem hessischen Geisenheim war Mitte der 2010er Jahre Pilotbetrieb in einem vom Bundeswirtschaftsministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geförderten Projekt. Genauso, wie heute die Schnellboote bei Service-Meister Chancen von digitalen Werkzeugen im Industrie-Service ausloten, fand Oswald seinerzeit bei eMasterCraft die Möglichkeiten für Handwerksbetriebe heraus. Denn egal, ob für Service-Mitarbeiter:innen mit Künstlicher Intelligenz (KI) oder für Handwerker:innen mit elektronischen Geschäftsprozessen – damals wie heute steht fest, dass nicht nur die hiesige Bau- und Ausbauwirtschaft produktiver arbeitet, wenn sie Abläufe digital optimiert. Das zeigte eine Untersuchung der Universität Dortmund aus dem Jahr 2014.
Spiegel-Online: „Betriebe haben Digitalisierung verpennt“
Büros und Baustellen elektronisch verbinden, um Abläufe zu beschleunigen, Kosten zu sparen und unternehmerische Chancen auszuschöpfen – was die Digitalisierung bereits vor Jahren im hessischen Malerbetrieb erfolgreich möglich machte, sollte sich heute mittlerweile deutschlandweit im Handwerk herumgesprochen haben. Und das vielleicht auch gerade deshalb, weil Schreiner, Elektriker, Installateure, Raumausstatter, Trockenbauer, Dachdecker, Bodenleger und Co. dieser Tage so gesucht sind wie niemals zuvor. Ein Trugschluss, wie eine aktuelle Studie von Digitalagentur dotSource und ECC Köln zeigt, einer Tochtermarke des Instituts für Handelsforschung.
Gefragt nach den größten Herausforderungen, landet die Digitalisierung bei den rund 350 teilnehmenden Handwerker:innen auf dem letzten Platz. Demnach vergeuden die Betriebe lieber Zeit mit analogen Papierlisten und Terminen auf Wandkalendern. Die Folge: „Wer derzeit einen Handwerker sucht, der braucht viel Geduld“, schreibt Jörg Breithut im Beitrag auf spiegel.de. „Wartezeiten von mehreren Monaten sind völlig normal“. Wartezeiten, die nicht nur dadurch entstehen, weil Fachkräfte fehlen und die Auftragsbücher gefüllt sind, sondern deshalb, weil Betriebe eben auf Kugelschreiber und Zettel statt Apps und Software setzen. Breithut: „Offenbar haben viele Betriebe in Deutschland die Digitalisierung verpennt.“
Digitalisierungsindex Deutschland: Stillstand als Fortschritt
Deutschlands Handwerker:innen als Digitalmuffel – laut Studie vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) besteht daran kein Zweifel. Firmen mit bis zu 49 Beschäftigten sind das Schlusslicht in der aktuellen Ausgabe des jährlichen Digitalisierungsindex. Im Vergleich zu Unternehmen anderer Größenklassen sind kleine Betriebe unterdurchschnittlich digitalisiert. Wo die Gründe allgemein liegen: „Insgesamt hat das Digitalisierungsmomentum der Corona-Pandemie noch nicht zu einem umfassenden und nachhaltigen Digitalisierungsschub in der deutschen Wirtschaft geführt“, schreiben Barbara Engels und Jan Büchel im Beitrag zur Studie auf der IW-Website. „Wegen der Konfluenz verschiedener Krisen und dem Verbleib in der – sogar noch verschärften – Ausnahmesituation ist jedoch nicht auszuschließen, dass ein solcher Schub noch ausgelöst wird.“ Immerhin sei es beachtlich, dass die Firmen angesichts der weltweiten Herausforderungen nicht Rückschritte bei der Digitalisierung gemacht hätten. In Zeiten von Viruspandemie, Ukrainekrieg und Energiekriese müsse Stillstand als Fortschritt gelten.
E-Mails, Messenger und Cloud: Trendwende in Sicht
Viel Papier, wenig Tempo – anderer Meinung ist der Zentralverband des Deutschen Handwerks, kurz ZDH. Egal, ob E-Mails, Messenger oder Social Media, laut aktueller Studie von ZDH und Digitalverband Bitkom nutzen zwei Drittel der Handwerksunternehmen digitale Technologien und Anwendungen. Beispiel Cloud Computing: 45 Prozent setzen auf Ressourcen aus der Wolke. Heißt aber auch im Umkehrschluss: 55 Prozent tun genau das noch nicht. Für den Zentralverband scheint die Trendwende jedoch in Sicht: „Insgesamt zeigt sich die überwiegende Mehrheit der Handwerksbetriebe der Digitalisierung gegenüber aufgeschlossen“, heißt es im Beitrag auf zdh.de.
Handwerk braucht Aufgeschlossenheit: Einmal digitalisiert, nie mehr gekurbelt
Aufgeschlossen zeigt sich Malermeister Oswald – und das bereits 2019 im Beitrag der Deutschen Handwerkerzeitung: „Wenn z.B. ein Kunde in der Firma anruft, geht direkt ein Anrufformular am Computer auf, in dem Gesprächsnotizen vermerkt werden können“, sagt Oswald. „Die gesamte Projektabwicklung wird von der Software erfasst, kategorisiert und mit Statusmeldungen versehen. Bis zum Auftragsabschluss erhalten die Mitarbeiter vom System Hinweise, was noch zu erledigen ist, welche Genehmigungen einzuholen sind und welches Material bestellt werden muss.“ Gefragt, ob er bereit wäre, auf eine derartige Anwendung zu verzichten, fällt dem Handwerker nur eine Antwort ein. Es sei wie mit elektrischen Fensterhebern: „Wenn ich mich daran gewöhnt habe, will ich auch nicht mehr kurbeln wie früher.“
Bildnachweis: iStock-1369943962
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