Von PD Dr. Fred Jopp, Head of Industrial Project Management, USU Software AG
Unternehmer sind sich sicher: KI verändert die Wirtschaftswelt – aber nicht die eigene Firma, wie Studien zeigen. Ein Trugschluss, der viele Ursachen hat. Denn sind KI-Systeme intransparent und ihr Nutzen unklar, bleibt Vertrauen auf der Strecke. Wie sich notwendiges Vertrauen in KI gewinnen und die Technologie in die Praxis bringen lässt.
Alle bemühen zu dieser Zeit das Bild vom Öl für die Maschinen des 21. Jahrhunderts, wenn von KI, Algorithmen und Big Data geredet wird. Über welche gesamtwirtschaftlichen Implikationen reden wir, wenn wir aus unternehmerischer Sicht dieses Bild bemühen?
Es ist das Bild der permanent sich auf und ab bewegenden Ölpumpe als Symbol eines lange andauernden, explorativ fundierten Wohlstands, in dem Unternehmercharaktere wie Henry Ford I. beherrschend waren. Dieser optimierte wie keiner vor ihm die bis dahin übliche, industrielle Produktion, was zur damaligen Zeit in der Entwicklung der Produktionslinie für das als T-Modell bezeichnete Automobil Thin Lizzy gipfelte. In der darauffolgenden Produktverbreitung stiegen die Erdölpreise rasant an. Kohleknappheit, Weltwirtschaftskrise und Kriege machten Erdöl zu einer hochstrategischen Ressource, derer habhaft zu sein über nichts weniger als Aufstieg und Untergang von Unternehmen, Konzernen und Ländern entschied. Sicherlich erhält dieses Bild durch Meadows (1972) eine nachhaltigere, zeitgemäßere Interpretation, aber der unternehmerische Grundgedanke war damals bei der strategischen Ressource Rohöl sicherlich mehr mit der Fokussierung auf Chancen, als mit der Kontemplation von Risiken verbunden.
Nicht in Stahl denken, sondern von KI profitieren
Was bedeutet das heute für uns und dem Einsatz von KI im Land der Maschinenbauer? Zunächst einmal sprechen alle Zahlen eindeutig dafür, dass wir es bei KI abermals mit einer strategischen Ressource zu tun haben (wie etwa die Paice-Studie aus dem Jahr 2018 oder die KI-Studie des eco Verbands aus dem Jahr 2020 zeigen). Der mutmaßliche volkswirtschaftliche Mehrwert, den KI für uns in den nächsten fünf Jahren generiert wird im Bereich von rund 50 Milliarden Euro liegen. Ein essentieller Beitrag, der bereits jetzt gewaltige Veränderungen lostritt. Was das konkret bedeutet: Industrielle Wertschöpfung findet immer weniger mit Maschinen statt, sondern immer mehr mit KI-basierten Services, die um Maschinen herum gebaut werden. Wilfried Schumacher-Wirges (IoT-Solutions, KEB Automation, ehemals Heidelberger Druckmaschinen), einer der Pioniere des digitalen Service im deutschen Maschinen- und Anlagenbau, fast diesen Umstand lapidar mit der Bemerkung zusammen: „Wer heute noch ausschließlich in Stahl denkt, verpasst die Möglichkeit, mit Service Geld zu verdienen!“.
Die Auseinandersetzung mit der Digitalisierung des technischen Service über KI-Tools ist aus genau diesem Grund der zentrale Ansatz von Service-Meister. Das KI-Leuchtturmprojekt entwickelt zunächst KI-Tools für Segmente des technischen Service, die die Basis für eine Referenzarchitektur legen sollen. Das Ziel: Nach Ende der Projektlaufzeit im Jahr 2022 soll ein anlagen-, abteilungs- und firmenübergreifendes Serviceökosystem für den deutschen Mittelstand verfügbar sein. Dabei zielt Service-Meister nicht nur darauf ab, Unternehmen mit KI im Service Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, sondern auch, drängenden Problemen des Fachkräftemangels entgegenzutreten. Das KI-Projekt macht Wartungs-Know-how skalierbar und unterstützt mittlere und kleinere Unternehmen dabei, KI in die Praxis zu bringen, um davon zu profitieren.
Wenige nutzen KI, viele verkennen die Chancen fürs eigene Unternehmen
Wenn die digitale Welt um uns als Zentrum des Maschinen- und Anlagenbaus immer schneller darauf los klickt, dann muss die Erwartung sein, dass sich die unternehmerische Sicht immer mehr auf die gewinnbringenden Möglichkeiten der KI, also der Schaffung von mehr volkswirtschaftlichen Mehrwert durch den Einsatz und die Exploration von KI-Tools im eigenen Unternehmen widmen sollte. Und das ganz im Sinne der Exploration einer strategischen Ressource, wie Henry Ford I. dies im anfänglich aufgemachten Bild getan hat. Interessanterweise scheint dies aber eher nicht der Fall zu sein:
Eine aktuelle Studie vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln) hat 686 Unternehmen aus Industrie und industrienahen Dienstleistungen zum Status Quo der eigenen KI-Nutzung befragt. Eines von zehn Unternehmen hat KI bereits im Einsatz. Dabei tritt auf den ersten Blick ein interessanter Widerspruch zutage: Befragt nach ihrer Einschätzung hinsichtlich der Bedeutung von KI im Unternehmenseinsatz gaben die Befragten an, dass KI für das eigene Unternehmen und die eigene Branche potenziell eher als Risiko denn als Chance bewertet wird. Dies gilt besonders für Firmen, die originär eher KI-fremd waren. Die Chancen wiederum wurden von der Mehrheit der befragten Unternehmen eher globalgalaktisch für die gesamtdeutsche oder weltweite Bedeutung von KI angenommen.
Erfolg künstlicher Intelligenz braucht vorab menschliche Akzeptanz
An dieser Stelle ist es sicherlich nicht zu gewagt, hieraus den Schluss zu ziehen, dass der Einsatz von KI-Tools noch nicht die flächendeckende Akzeptanz erreicht hat. Diese wäre aber nötig, um den Informations- und Technologievorsprung anderer Länder (wie beispielsweise der USA) wettmachen zu können. Diesen Schluss zieht auch die Studie vom IW Köln, die hierfür offene Rechtsfragen zu Intellectual Property, Liability und das Ermangeln von technischen und ethischen Standards identifiziert.
Insgesamt ist es wichtig, an dieser Stelle zu betonen, dass auch beim Thema KI digitale Transformation deutlich mehr ist als die Einführung eines reinen Technologie-Stacks. Vielmehr betrifft der wesentliche Moment das Mindset und die Kultur in der einführenden Organisation, wie dies in Abb. 2 noch einmal beispielhaft dargestellt ist. Damit ist die Einführung von KI-Tools den selben Mechanismen unterworfen, wie sie auch bei Software-Einführungsprojekten gelten. Das wesentliche Moment hierbei ist die Akzeptanz durch die Mitglieder der Organisation, in der die Software-Entitäten eingeführt werden.
Wenn diese nicht oder nicht vollständig gegeben ist, so wirkt sich dies unmittelbar auf die Erfolgsquote bei der Softwareeinführung aus. Die Gründe hierfür sind vielfältig, wie etwa:
- Etablierung von Key-Usern, die die Einführung begleiten,
- Vorab-Befragungen, die in die Richtung von Anforderungsanalysen gehen,
- erkennbarer Nutzen der Software für den User,
- ein gelungenes UX-Design mit intuitiven Workflow-Schritten.
Nutzen von KI muss transparent und nachvollziehbar sein
Ein zentraler Aspekt ist dabei sicherlich der Punkt der Transparenz und der Nachvollziehbarkeit dessen, was die Software im Betriebs- beziehungsweise Unternehmensablauf verrichten soll. Ist dies nicht gegeben, kann der Nutzen also sozusagen nur a priori akzeptiert beziehungsweise ergebnisorientiert akzeptiert bzw. dem Ergebnis geglaubt werden.
In diesem Zusammenhang schließt sich der Kreis mit der Künstlichen Intelligenz wieder: Kier werden häufig sogenannte Blackbox-Modellierungen eingesetzt (Jopp et al. 2009). Aus der Kybernetik stammend, handelt es sich dabei um Verfahren, bei der ein externes Signal als Input in einer Box verarbeitet wird und man lediglich das Ergebnis, den Output, wahrnehmen kann, die eigentlichen Verarbeitungen aber in der Box im Dunkeln bleiben.
Stellen wir uns zur Verdeutlichung folgende, realistische Situation aus dem Maschinen- und Anlagebau vor: ein KI-Algorithmus aus dem Bereich der vorausschauenden Wartung prognostiziert für ein Aggregat einer bestimmten Werkzeugmaschine eine Ausfallwahrscheinlichkeit von über 95 Prozent – und das zu einem Zeitpunkt, der noch einige Monate in der Zukunft liegt. Was sind die Hintergründe? Der Algorithmus, eine Gauss-Prozess-Regression, hat auf den verfügbaren Daten dieser und vergleichbarer Maschinen gelernt, unter welchen Mustern beziehungsweise Kombinatoriken Ausfälle hochwahrscheinlich eintreten. Auch bei der Werkzeugmaschine im Beispiel erfolgt die Prognose anhand eines Fits der Daten. Wie läßt sich diese Behauptung für einen neuen Betreiber der Maschine verifizieren? In der „Real World“ am sichersten dadurch, indem die Maschine „trocken gelaufen“ lassen wird, also einfach geschaut wird, ob der unplanmäßige Wartungsfall auch wirklich eintritt. Und das ist ein Problem: für den erfahrenen Data Scientisten gäbe es weitere Möglichkeiten, anhand der Güte des durch den Algorithmus vorgenommenen Fits die Vorhersagequalität einzuschätzen. Der Anwender wiederum kann einfach nur die Vorhersage glauben bzw. empirisch beobachten, ob der Fall eintritt.
Vertrauen in KI gewinnen und stärken
An diesem realistischen KI-Einsatzbeispiel aus dem Maschinen- und Anlagenbau wird deutlich, dass Blackbox-Modelle in Bezug auf Transparenz und Akzeptanz ein großes Problem darstellen. Um wieder an die Studie des IW Köln anzuknüpfen: Ganz bestimmt wird über ein Verfahren, dessen Prognose Anwender entweder glauben können oder nicht, kein Vertrauen generiert. Sicherlich muss hier das Gegenteil der Fall sein. Die Gruppe derjenigen, die das IW Köln in seiner Studie als diejenigen benennt, die KI zwar als unterstützens- und einführenswert beurteilen, aber bitte nicht im eigenen Unternehmen, wird gestärkt. Unternehmenspolitische Entscheidungen sollten sicherlich (analog zu allen politischen Entscheidungen im öffentlichen Raum) im Sinne eines evidenzbasierten Vorgehens nachvollziehbar sein. Anderenfalls wird der vielzitierten „Cancel Culture“ nur Vorschub geleistet.
Daher wird Im KI-Leuchtturmprojekt Service-Meister aus den genannten Gründen ein wesentlicher Schwerpunkt auf die Aspekte KI-Akzeptanz und Transparenz gelegt. Methodisch bedeutet dies, dass sich im Projekt mehrere große Arbeitspakete mit dem Aspekt der sogenannten erklärbaren KI beschäftigen. Dabei geht es darum, den Blackbox-Ansatz hinter sich zu lassen und nachvollziehbare Gütekriterien für den KI-Einsatz zu entwickeln. Insgesamt ist der Ansatz im Gesamt-Projekt mehrschichtig, angefangen von dem Aufsetzen von standardisierten Protokollen für Datenerhebung, -generierung und -formate, der Entwicklung von akzeptierten KI-Diagnosetools, der Identifikation von Techniker-Best Practises für den Servicebedarfsfall sowie einer Datenhaltung, die mit der jeweiligen Data Governance der Unternehmen konform gehen kann.
Zu diesen Zwecken veranstaltet Service-Meister neben den regelmäßigen internen inhaltlichen Treffen Veranstaltungen mit Dritten, informiert zum aktuellen Projektstand bzw. lässt sich von ExpertInnen helfen und beraten. „Akzeptanz von KI: Ablehnung oder Vertrauen“, „Wie kommt die KI in den Mittelstand“, „Die Zukunft der Produktion mit KI“ sind nur ein paar Veranstaltungstitel, mit denen Service-Meister den Dialog zur Akzeptanz von KI ankurbelt. Um im Bild der Cancel Culture zu bleiben, würde dies bedeuten, dass KI natürlich nicht abgesagt, sondern vielmehr ausgebaut wird und die Leuchtturmprojekte, wie Service-Meister, dafür sorgen, dass insbesondere beim Thema Akzeptanz und Transparenz von KI dieser die Handschellen abgenommen werden.
Über den Autor
PD Dr. Fred Jopp hat mehr als 20 Jahre Erfahrung in Big Data Analytics und Algorithmenentwicklung in der Angewandten Physik und der Wirtschaft. Als Head of Industrial Project Management verantwortet er bei der USU die Entwicklung und Steuerung von Industrieprojekten im Bereich der Smart Services.
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