Von Nils Klute, IT-Fachredakteur und Projektmanager IoT beim eco – Verband der Internetwirtschaft e. V.
In der Industrie führt kein Weg an ihm vorbei. Auch wenn Astronauten erstmals zum Mars reisen, wird er im Gepäck sein. Und selbst der Kölner Dom bekommt dieser Tage einen: die Rede ist vom digitalen Zwilling. Wie Softwaremodelle nicht nur in Industrieservice, Raumfahrt und Dombau helfen.
Aktuell erstellen Drohnen ein detailliertes Modell von den Türmen des Kölner Doms. Rund 30.000 hochauflösende Bilder entstehen dabei. Der Virtual Reality-Anbieter Northdocks bildet die Kathedrale so im Computer ab. Das Ziel: „Die realitätsgetreue 3D-Visualisierung dient den Mitarbeitern der Dombauhütte dazu, schwer zugängliche Bereiche des Bauwerks einfacher zu überwachen und mögliche Schäden frühzeitig zu erkennen“, schreibt domradio.de.
Digitaler Zwilling: Probleme erkennen und mit KI analysieren
Beschädigungen erkennen, Reparaturen planen – ein digitaler Zwilling macht es möglich. Aber: Wo Dombaumeistern noch eine virtuelle Momentaufnahme ausreicht, stellen beispielsweise Astronauten andere Anforderungen an die Technologie. Raumfahrer sind auf Echtzeit-Daten angewiesen, um ihren Flug zu überwachen. Probleme müssen sich im All live erkennen und eigenständig beheben lassen; am besten, noch bevor sie überhaupt eintreten. Die Lösung liefert der Technologiekonzern Lockheed Martin. Sein digitaler Zwilling soll mit an Bord des NASA-Raumschiffs Orion sein, wenn das Gefährt voraussichtlich in den 2030er Jahren zum Mars aufbricht.
Das System mit Namen MAIA (Model-based Artificial Intelligent Assistant) geht dabei weit über eine statische 3D-Nachbildung hinaus. Der digital Twin hält Realität und Simulation jederzeit synchron. In Echtzeit erfasst MAIA nicht nur Außentemperaturen, Energieressourcen und den Reiseverlauf, sondern überwacht und analysiert alle Parameter laufend mit KI, um Störungen zu erkennen. Ist menschliches Eingreifen notwendig, lässt sich die Crew über Virtual- und Augmented Reality (VR, AR) anleiten. Wartung, Service und Instandhaltung sind Kernfunktionen des Systems. Wenn Funksprüche vom Mars zur Erde bis zu 40 Minuten unterwegs sein können, muss das dynamische Softwaremodell in der Lage sein, autonom zu entscheiden und eigenständig Lösungen anzubieten – ohne auf Anweisungen aus dem Kontrollzentrum warten zu müssen.
Intelligente Systeme und digital Twins im Softwaremodell
Ob im Weltall oder auf der Erde – auch im Projekt Service-Meister spielen KI, AR, VR und smarte Softwaremodelle eine wichtige Rolle. Nicht nur, um Anlagen, Maschinen und Wartungsprozesse digital zu verwalten, sondern zudem, um Servicewissen weltweit skalierbar zu machen. Beispiel Trumpf: „Wo immer wir auf der Welt unsere High-Tech-Geräte warten oder reparieren müssen, setzt das Experten-Know-how voraus. Know-how, das nicht überall in gleicher Qualität bei den Serviceteams bereitsteht“, sagte Martin Lukas von Trumpf auf dem Service-Meister-Kick-off. Was sich für Astronauten im Weltall eignet, soll Servicetechnikern auf der Erde helfen: Im Schnellboot von Service-Meister möchte der Werkzeugmaschinenspezialist eine Lösung entwickeln, mit der sich Wartungsinformationen überall auf der Welt bereitstellen und Techniker mit intelligenten Werkzeugen anleiten lassen.
Serviceprozesse beschleunigen, Störungen remote erkennen – darum geht es im Service-Meister-Schnellboot von Würth. Und um Geschwindigkeit dreht sich auch alles beim Würth Industrie Service: Mit dem digital Twin optimiert das Unternehmen Produkteigenschaften von Bauteilen. „The digital twin of the product allows for increasing efficiency and quality of the process. Weaknesses can be detected and component features be optimized in terms of design already in the phase of product development“, schreibt www.wuerth-industrie.com. Weiterer Vorteil: Digital optimierte Ersatzteile lassen sich bedarfsgerecht im 3D-Druck produzieren.
Produktionsergebnisse virtuell prognostizieren
Daten erfassen, analysieren und entlang des gesamten Produktlebenszyklus nutzbar machen –Service-Meister Konsortialpartner Atlas Copco setzt auf den digitalen Zwilling und lässt Abläufe in Entwicklung, Prototypenbau, Serienfertigung, Nacharbeit und Instandhaltung nahtlos ineinandergreifen. „Im digitalen Zwilling sind alle wichtigen Informationen eines Produkts protokolliert“, schreibt Atlas Copco in einer Pressemitteilung. „Die Nutzung dieser Daten kann unterschiedlichste Prozesse wesentlich vereinfachen und beschleunigen.“ Was damit möglich wird: Ob kleben, fügen, stanzen oder schweißen, für eine Verbindungsart lässt sich das produktivste Verfahren ermitteln. In Echtzeit prognostiziert Atlas Copco, wie sich Komponenten und Materialien verhalten werden – noch bevor der erste Prototyp gebaut ist.
13 Prozent der Unternehmen setzen auf digital Twins
Das Onlineportal für den Chief Information Officer www.cio.de berichtet 2019 über eine Studie von Gartner: Demnach arbeiten 13 Prozent von knapp 600 befragten Unternehmen aus sechs Ländern mit Digital Twins. Und weitere 62 Prozent sind aktuell dabei, die Technologie zu implementieren. Digital Twins schaffen Mehrwerte, zeigt sich außerdem Deloitte überzeugt. Und das nicht mehr länger nur in komplexen High Value-Assets, sondern in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen, stellt die Studie Grenzenlos vernetzt: Digital Twins heraus. Die Berater erwarten, dass beispielsweise Autokäufer schon bald virtuell zur Probefahrt aufbrechen und Diabetes-Patienten Live-Daten an den Arzt senden, um ihre Behandlung über einen digitalen Doppelgänger zu verbessern.
Dieser Artikel hat Ihnen gefallen? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie regelmäßige Updates zu ähnlichen Themen und zum Projekt Service-Meister.