Bild von kjpargeter auf Freepik/MDHZ
Von Ralf Schädel, IT-Redakteur und Projektmanager Cloud Services und Gaia-X bei eco – Verband der Internetwirtschaft e.V.
Bayreuth ist nicht nur für seine Festspiele bekannt: Wenn es um smarte Fertigungsprozesse, Automatisierungstechnologien und deren schnellen Transfer in die Aus- und Weiterbildung von Handwerksbetrieben geht, hat sich auch das Förderprojekt Mittelstand-Digital Zentrum Handwerk (MDZH) einen Namen gemacht. Seit die vom BMWK-geförderte Einrichtung 2021 die Bühne der Weiterbildungseinrichtungen betreten hat, bringt sie Nachwuchs und Fachkräften mit Ausbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen digitale Tools näher. MDZH-Projektmitarbeiter Robert Falkenstein berichtet im Interview mit Service-Meister über den Digitalisierungsstand des Handwerks.
Service-Meister: Herr Falkenstein, wie stellt sich die Digitalisierung von Handwerksbetrieben deutschlandweit und in Oberfranken dar?
Robert Falkenstein: Rund 10 Prozent unserer Betriebe kommen bei der Digitalisierung gut voran und sind in ihrem Gebiet führend. Diese Musterfirmen arbeiten teils mit uns zusammen und wollen sich immer noch verbessern. Circa 20 Prozent kommen ganz gut eigenständig zu recht. Ihre Webseite ist ansprechend und die eine oder andere Digitalisierungsmaßnahme haben sie bereits durchgeführt. Weitere 20 Prozent würden sich gerne digitaler aufstellen, wissen aber nicht, wie sie dabei vorgehen sollen. Diese Betriebe sehen zwar den Bedarf, nicht aber die Technologien.
Genau dort kommt das Mittelstand-Digital Zentrum Handwerk ins Spiel: Wir unterstützen beispielsweise ganz konkret mit Fachvorträgen zur Implementierung von Digitaltechnologien. Das beinhaltet Maßnahmen von der Orientierung über die Qualifizierung bis hin zur Umsetzung. Weiterbildung ist daher ein wichtiges Puzzleteil der Digitalisierung.
Service-Meister: …und wie sind restlichen 50 Prozent aufgestellt?
Falkenstein: Sie haben überhaupt keine Berührungspunkte mit der Digitalisierung. Von den 17.000 Mitgliedbetrieben bei der Handwerkkammer Oberfranken haben wir in den letzten zwei Jahren nur einen Bruchteil von vielleicht 1.000 Betrieben erreicht. Rechnet man das auf ganz Deutschland mit etwa 1 Million Handwerksbetrieben hoch, wird ersichtlich, welche Aufgabe vor den 29 MD-Einrichtungen hierzulande liegt.
Service-Meister: Wie unterscheiden sich die Branchen beim Digitalisierungsgrad?
Falkenstein: Die einen brauchen einen Roboter für die Produktion, die anderen eine Drohne für Dacharbeiten. Der Einsatz von Digitalisierungstechnologien ergibt in verschiedenen Branchen Sinn. Egal ob Gitarrenbaumeister:in, Bäcker:in oder Bestatter:in – Pionierarbeit wird von vielen geleistet. Manchmal nicht ganz freiwillig: Im Bereich Sanitär und Anlagentechnik sind Betriebe beispielsweise sehr herstellerabhängig. Heißt konkret: Lassen sich Heizungsanlagen eines Anbieters nur noch per App betreiben, muss der Servicebetrieb reagieren.
Service-Meister: Zu welchen Themen erhalten Sie die meisten Anfragen?
Falkenstein: Gerade, wennein Generationswechsel in einem Betrieb ansteht, sind wir gefordert. Nachfolger:innen benötigen Hilfe, um sich neu aufzustellen. Zudem ist seit der Einführung von ChatGPT Künstliche Intelligenz im Handwerk ein großes Thema. Ich habe dazu ein Video veröffentlicht und kann mich seitdem vor Anfragen nicht mehr retten.
Mit Corona ist auch der Präventionsbedarf bei der Gesundheit stark in den Fokus gerückt. Beispielweise besteht immer mehr Interesse an sogenannten Exoskeletten. Diese mechanischen Helfer verbessern die Ergonomie, schonen den Körper, können Verletzungen vorbeugen und erhöhen so die Arbeitssicherheit. Auch gefragt sind Standardthemen, wie die Digitalisierung von Geschäftsprozessen, der Einsatz von Robotik, Augmented Reality und 3D-Druck.
Service-Meister: Was benötigen Handwerksbetriebe, um startklar für die Digitalisierung zu sein?
Falkenstein: Grundvoraussetzung ist die Eigenmotivation von Geschäftsführung und Belegschaft. Wir stellen bei einem Integrierungsprojekt als erstes einen Digitalisierungsfahrplan auf, der alle Prozesse berücksichtigt und die zeitliche Abfolge von Maßnahmen auf die Vorstellungen des Teams abstimmt. Wir raten der jeweiligen Geschäftsleitung eindringlich, ihre Mitarbeitenden stark in den Digitalisierungsprozess einzubinden. Wer sich beispielsweise zwischen mehreren Softwares unterschiedlicher Anbieter entscheiden muss, spannt am besten sein Team ein und lässt sie die Anwendungen einfach mal testen.
Service-Meister: Welchen Ansatz verfolgt das MDZH?
Falkenstein: Da Vorträge oftmals sehr theoretisch sind und sich Inhalte nur schwer auf unterschiedliche Betriebe übertragen lassen, setzen wir auf Einzelbetrachtung und -betreuung. Unser Motto lautet: Hilfe zur Selbsthilfe – und nicht Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Der MDZH versteht sich insofern als Transferdienstleister.
Was das problematisch machen kann: Viele Geschäftsinhaber, die bereits lange im Job sind, kennen den aktuellen Stand bei Digitalisierungslösungen gar nicht. Wer sich informieren möchte, stößt zudem auf viele unstrukturierte Informationen, die nicht weiterhelfen, sondern überfordern.
Service-Meister: Welche Rolle können Weiterbildungsprogramme hierbei spielen?
Falkenstein: Weiterbildungsprogramme und zielgruppengerechte Schulungen haben einen sehr großen Stellenwert. Wir bieten sowohl Maßnahmen direkt für die Betriebe als auch für Multiplikatoren wie Berater oder Schulungszentren an. Auch wenn es ein langwieriger Prozess ist, die Weiterbildung zu optimieren, gibt es heute schon Berufsschulen, die mit Robotern arbeiten.
Service-Meister: Wo besteht noch Bedarf?
Falkenstein: Auf jeden Fall bei der Skalierung. Zwar gibt es viele Leuchtturm- aber nur wenige Transferprojekte, die die Digitalisierung in die Breite tragen. Dazu trägt sicherlich auch die aktuelle politische Förderlandschaft bei. Großen Bedarf sehe ich außerdem bei den Hochschulen, die Probleme haben, den Praxisbezug herzustellen. Mit einem Impulsvortrag von Wirtschaftsvertretern für Student:innen ist es nicht getan! Wir brauchen mehr Anbieter und Dienstleister für Integrations- und Vernetzungslösungen.
Service-Meister: Wie passt das Angebot von Service-Meister zu Handwerksbetrieben?
Falkenstein: Sehr gut! Das Projekt zielt auf einen spezialisierten Bereich – Service bei Industrie 4.0 – und ein spezialisiertes Problem – mit KI in unterschiedliche Anwendungsszenarien einzugreifen. Die Schnellboote sind das, was wir als Demonstrator bezeichnen. Sie zeigen Lösungen auf und bieten noch jede Menge Potenzial für die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle. Mit dem Train-the-Trainer-Programm steht für Fachbereichsleiter eine Maßnahme bereit, die sich als Modul bei der Meisterschule problemlos einfügen lässt.
Service-Meister: Was muss Service-Meister noch anpassen?
Falkenstein: Wie alle Projekte in der Weiterbildung steht auch Service-Meister vor der Herausforderung, seine Erfolge in die Breite zu tragen, sodass es mehr und mehr Unternehmen anspricht. Ich muss gestehen, dass ich mir bei der Planung von Veranstaltungen schon einiges von Service-Meister abgeschaut habe, den Schlüssel zu mehr Reichweite und Akzeptanz aber auch noch nicht gefunden habe.
Service-Meister: Wie sieht für Sie ein weitreichendes, zukunftsgerichtetes Weiterbildungskonzept für die Digitalisierung aus?
Falkenstein: Der Trend geht zum „Microlearning“, das bedeutet Lernen in kleinen zielgerichteten Lerneinheiten und kurzen Schritten, die zu einem bestimmten Problem passen. Ich bin ein Freund des lebenslangen Lernens: Konzepte von schulischer und beruflicher Aus- und Weiterbildung sowie Studium müssten besser miteinander harmonisieren und so individuell wie möglich auf die Bedürfnisse jedes Einzelnen und die Probleme der heterogenen Branchen ausgerichtet sein.
Vielen Dank für das Gespräch!
Bei Interesse und Fragen kontaktieren Sie uns unter robert.falkenstein@mdh.digital oder christine.neubauer@eco.de.