Von Nils Klute, IT-Fachredakteur und Projektmanager Kommunikation Cloud Services bei EuroCloud Deutschland_eco e.V.
Künstliche Intelligenz (KI) definiert nicht nur Wertschöpfung im Industrie-Service neu, sondern das Gesellschaftsgefüge. Auf der Abschlusskonferenz von Service-Meister diskutierten jetzt Mittelstand, IT-Dienstleister, Politik und Wissenschaft über die Ergebnisse des KI-Projekts und ihre Verwertung.
Brötchen mit Mohn, Sesam oder Vollkorn – beim Thema KI zeigen Bäckereien aus Bayern wie es gehen kann. Über Smartphone und App analysieren sie den Rücklauf aus den Filialen. „Statt manuell zu zählen, erkennt der KI-Semmel-Detektor automatisch, wie sich die Sorten verkauft haben“, sagte Robert Falkenstein, Projektleiter Standort Bayreuth im Mittelstand-Digital Zentrum Handwerk bei HWK Oberfranken. Daten, die der Bäcker daraufhin nutzt, um sein Angebot auf die Nachfrage anzupassen. Auch Dienstleister schneiden ihre Services über KI und Daten immer präziser auf die Nachfrage zu: „Wir sind künftig in der Lage, Texte, Bilder und Kampagnen in Losgröße 1 zu realisieren“, sagte Dr. Iris Heilmann, Geschäftsführende Inhaberin bei der Kommunikationsagentur Palmer Hargreaves. Nicht anders im Industrie-Service: „KI hilft uns, unsere Laserschneidsysteme remote zu warten und betriebsbereit zu halten“, sagte Korbinian Weiß, Manager Machine Vision bei TRUMPF. Beispiele, die zeigen, welche Rolle die Technologie spielen kann. Und Beispiele, die unterstreichen, wie smarte Werkzeuge, Dienste und Anwendungen die Prozesse nicht nur in Wartung und Instandhaltung verändern – sondern überall und übergreifend.
Konsortium löst Herausforderungen in Wartung und Instandhaltung mit KI
Vom Handwerk über die Dienstleistungsbranche bis hin zum Industrie-Service – auf der Abschlusskonferenz des KI-Projekts Service-Meister drehte sich jetzt an zwei Tagen alles um die Chancen der Technologie. Chancen, an denen in den vergangenen drei Jahren nicht nur TRUMPF gearbeitet hatte, sondern KROHNE, WÜRTH, Open Grid Europe, KEB und esw GROUP. Gemeinsam mit den IT-Partnern USU Software, grandcentrix und inovex hatten sich die Firmen in den sogenannten Schnellbooten zusammengeschlossen, um Herausforderungen in Wartung und Instandhaltung mit KI zu lösen.
KI mit Service-Meister: Wirtschaftlich nutzbare Anwendungen lassen neue Produkte entstehen
Datensilos, analoge Maschinenparks und proprietäre Software: „Die Realität aus dem Mittelstand hat uns auch im Projekt eingeholt“, sagte Hauke Timmermann. „Uns war es wichtig, nicht unter Laborbedingungen zu entwickeln“, sagte Christine Neubauer. Neubauer und Timmermann hatten in den vergangenen drei Jahren das Konsortium beim eco – Verband der Internetwirtschaft organisiert. Und beide hatten ab Projektstart Anfang 2020 die Arbeit begleitet. Das Ziel: Ein offenes Serviceökosystem, das Meisterwissen digitalisiert, so auch geringer ausgebildete Fachkräfte für komplexe Aufgaben befähigt und den deutschen Mittelstand mit KI erfolgreicher und wettbewerbsfähiger macht. Denn: „Entscheidend ist immer die Verwertung“, sagte Axel Voß, Referatsleiter Entwicklung digitaler Technologien beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), „am Ende brauchen wir Anwendungen, die ökonomisch nutzbar sind, um neue Produkte entstehen zu lassen.“
KI im Industrie-Service: Mehrwerte in Euro und Cent erkennen
Egal, ob digitale Ratgeber, Chatbots oder Augmented Reality-Apps – Anwendungen wie diese sind es, mit denen Service-Meister Industrie-Service und KI-Standort Deutschland weiterbringen möchte. „Erst 10 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) nutzen hierzulande KI“, sagte Martin Lundborg, Leiter der Begleitforschung Mittelstand-Digital beim Wissenschaftlichen Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste. Zwar liegt Deutschland damit über dem europäischen Durchschnitt. Aber: „Unternehmen erkennen oft noch nicht, was KI in Euro und Cent bringt“, sagte Lundborg.
KI aus Deutschland: Digitalisierung gestalten und nicht nur mitmachen
Reaktionszeiten beschleunigen, Servicequalität steigern und Anlagen verfügbar halten: „Der Bedarf für KI entsteht auf deutschen Shop-Floors“, sagte Kristina Peneva, Senior Consultant bei VDI/VDE Innovation + Technik, „wer in den nächsten fünf bis zehn Jahren nicht in das Thema investiert, der läuft Gefahr, dass ihn die Realität einholt.“ Worauf es dabei ankommt: „Wir müssen Digitalisierung aus Deutschland heraus gestalten und nicht nur mitmachen“, sagte Andreas Weiss, Geschäftsführer beim eco Verband. Was dazu gehört: „Open Source und Standards sind die Grundzutaten“, sagte Weiss. „Und das auch, um datenbasierte Geschäftsmodelle im Industrie-Service entstehen zu lassen“, sagte Alexandra Horn, Leiterin KMU und Verbandskooperationen beim Deutschen Institut für Normung. Schließlich schaffen Standards Vertrauen und Initiativen wie Gaia-X die souveräne Dateninfrastruktur für die digitale Ökonomie.
KI im Mittelstand: Mehr Mut zu kleinen Schritten
Maschinenparameter, Sensorwerte oder Reparaturberichte: „Auch im Industrie-Service ist die Cloud gewissermaßen der gelbe Sack für Daten“, sagte Thomas Niessen, Managing Director beim Kompetenznetzwerk Trusted Cloud. Für Recyclingwirtschaft und Datenwirtschaft gilt dabei gleichermaßen: „Nur dann, wenn jede:r versteht, was rausspringt, bringt das den Fluss in Schwung“, sagte Dr. Dominik Rohrmus, CTO bei Labs Network Industrie 4.0.
Was die datenbasierte Serviceökonomie für den Erfolg im Mittelstand benötigt: „Weniger akademische Diskussionen“, sagte Christian Pereira, COO bei grandcentrix. „Mehr anpackbaren Praxisbezug“, sagte Dr. Robert Pesch, Head of Data-Driven Solutions bei inovex. „Das richtige Mindset“, sagte Prof. Dr. Günter Huhle, Gründer und Inhaber bei Corevas. Und: „Den Mut zu kleinen Schritten“, sagte Dr. Nicole Wittenbrink, Consultant bei VDI/VDE Innovation + Technik, „wer sich direkt auf den Gesamtentwurf mit Visionskraft versteift, läuft eher Gefahr zu scheitern.“ Nicht zuletzt brauchen Daten ein Zuhause: „Infrastrukturanbieter und Rechenzentren in Deutschland stehen dafür bereit“, sagte Alexander Rabe, Geschäftsführer beim eco Verband.
KI in der Gesellschaft: Mehr Spieltrieb, weniger Bedenken
Wie bereit die Gesellschaft dabei für KI ist: „Deutschlands Bevölkerung ist unterschiedlich KI-Ready“, sagte Dr. Christina Schmidt-Holtmann, Referatsleiterin Datenverfügbarkeit, Digitale Souveränität und SPRIND beim BMWK, „je nach Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad zeigen sich Differenzen.“ „Dabei betrifft KI jeden Menschen und jeden Arbeitsplatz“, sagte Heilmann. Was zur Lösung nötig ist: „Ein kritischer Optimismus“, sagte Heilmann, „und mehr Spieltrieb.“ Denn: „Wir leben hierzulande zu oft davon, Bedenken zu kultivieren“, sagte Barbara Engels, Senior Economist beim Institut der deutschen Wirtschaft. Rabe: „Wir brauchen mehr Empfehlungen und weniger Verbote.“
KI in KMU und Mittelstand: Service-Meister stellt Ergebnisse online bereit
Was Service-Meister dem Mittelstand jetzt empfiehlt: „Den Einstieg in die Technologie über unsere Website“, sagte Neubauer. „Online finden Interessierte alles, um sich zu informieren, den eigenen Standpunkt im Assessment zu bestimmen und die Möglichkeiten in den jeweiligen Serviceprozessen kennen zu lernen.“ Was darüber hinaus noch hilft: „Sich weiterzubilden“, sagte Timmermann, „Service-Meister stellt die Ergebnisse in unterschiedlichen, frei verfügbaren Lernformaten bereit.“ Egal, ob im E-Learning-Kurs auf dem KI-Campus oder im Train-The-Trainer Programm – Basis der KI-Schulungen ist ein Open-Source-Curriculum, das Service-Meister kostenlos anbietet. „Gemeinsam mit unseren mehr als 70 assoziierten Partnern sowie Industrie-, Handels- und Handwerkskammern möchten wir die Ergebnisse jetzt in die Fläche tragen“, sagte Neubauer.
Zukunft mit KI: Kompetenznetzwerk soll Arbeit von Service-Meister fortführen
„Agile Ökosysteme wie Service-Meister leisten heute das, was gestern große Industriekonglomerate leisteten“, sagte Lundborg. „Dabei hat sich Service-Meister in den vergangenen drei Jahren zu einem echten Markenzeichen entwickelt“, sagte Timmermann. Eine Strahlkraft, die das Konsortium nutzen möchte, um die Arbeit beispielsweise als Kompetenznetzwerk weiterzuführen. Fest steht: „Zwar löst KI Fachkräftefragen nur auf betriebswirtschaftlicher und nicht gesamtgesellschaftlicher Ebene“, sagte Engels. „Und KI ist nicht das Allheilmittel, sondern immer nur ein Werkzeug, das neue Produkte und Services erst möglich macht“, sagte Dr. Jürgen Grotepass, Chief Strategy Officer Manufacturing, European Standardization & Industry Development bei Huawei. Fest steht aber auch: „Wer erst mit KI arbeitet, wenn er seine Lösungen für ausgereift hält, der hat den Zug bereits verpasst“, sagte Weiss. Welche Haltung sich da für den Fortschritt empfiehlt: „Gelebte Start-up-Kultur“, sagte Journalistin Alexa von Busse, die das Event moderierte: „Ein großes Industrie-Konsortium kann seine Herausforderungen offenbar genauso agil wie kleine Unternehmen lösen.“
Impressionen der Abschlusskonferenz
Service-Meister war Ende 2019 als Gewinner aus dem KI-Innovationswettbewerb der Bundesregierung hervorgegangen. Die Abschlusskonferenz fand am 22. und 23. Mai 2023 im Forum Digitale Technologien in Berlin statt.
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