Ein Gastbeitrag vom Konsortialpartner Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Das Internet der Dinge (Internet of Things, kurz: IoT) ist in Zeiten unserer Informationsgesellschaft nicht mehr wegzudenken. Es erlaubt, physische und virtuelle Objekte miteinander zu verknüpfen und findet schon heute in einer Vielzahl von B2C- und B2B-Kontexten Anwendung. Smartphones und persönliche Assistenten (wie beispielsweise Alexa) oder Wearables – in Form von Smartwatches – sind dabei nur einige Beispiele, wie das IoT Menschen im persönlichen Alltag unterstützt. Das gleiche Prinzip der Vernetzung findet man auch im industriellen Bereich wieder, dem Industrial Internet of Things (IIoT). Im Vergleich zum B2C-Markt hinkt die industrielle Anwendung von IIoT – aufgrund oft schleppend verlaufender Digitalisierung – hinterher. Das zeigt sich auch in der Nutzung von B2B-Plattformen für IIoT Use Cases: diese steckt oft noch in den Kinderschuhen. Am Institut für Wirtschaftsinformatik und Marketing des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) haben sich Lara Riefle und Dr. Tobias Enders mit den Dynamiken rund um die Evolution von IIoT-Plattformen beschäftigt. Im Interview mit servicemeister.org sprechen beide über die ersten Ergebnisse einer Studie, die sie gemeinsam mit Industrieexperten durchgeführt haben.
servicemeister.org: Vom Internet of Things hat mittlerweile wohl jeder gehört. Sie haben nun im Bereich des Industrial Internet of Things geforscht, welche Besonderheiten gibt es gegenüber dem IoT?
Tobias: Das Internet der Dinge beschreibt allgemein die Vernetzung physischer Objekte über das Internet und den Austausch von Daten darüber. Die Anwendungsfälle bilden ein breites Spektrum ab – von Smart Home Applikationen, über vernetzte Fahrzeuge bis hin zu volldigitalisierten Produktionsstraßen. Die Besonderheit des Industrial Internet of Things besteht darin, dass die Anwendungen im industriellen B2B-Kontext zu finden sind. Ziele, die durch den Einsatz von IIoT verfolgt werden, sind beispielsweise die Automatisierung von Produktionsprozessen und die Erhöhung der Transparenz von potentiellen Fehlerquellen im Betriebsablauf.
In den letzten Jahren sind immer mehr IIoT-Plattformen entstanden. Wie helfen diese Plattformen, verschiedene Marktteilnehmer zu verbinden?
Lara: Wir sehen heute, dass viele Unternehmen ihre eigenen IIoT-Lösungen aufbauen – oft, um kleine Pilotprojekte auszuprobieren und erste Erfahrungen mit der Technologie zu sammeln. Größere Plattformen bieten wiederum die Möglichkeit, mehrere Marktteilnehmer zusammenzuführen und so den Funktionsumfang deutlich auszubauen. Die Plattformen dienen als Drehscheibe, auf der die Partner ihre Ressourcen (z.B. Daten, Analytics-Modelle, Industrie-Knowhow) teilen und einbringen, um über die Zeit ein digitales Ökosystem wachsen zu lassen. Kunden profitieren oft von einer Vielzahl vorgefertigter Lösungen, die sie nach dem Plug-and-Play-Prinzip in ihre Systemlandschaft integrieren können.
Plattformen kommen und gehen, was sind die Gründe dafür?
Tobias: Analog zu anderen Märkten bestimmen Angebot und Nachfrage die Dynamik rund um Plattformen. Besonders in den frühen Phasen einer neu entstandenen Plattform entscheidet sich, ob die Plattform langfristig am Markt überleben kann. Unsere Forschung hat gezeigt, dass die Fähigkeit des Managements, Marktveränderungen frühzeitig zu erkennen und darauf zu reagieren, kritisch ist, um eine Plattform erfolgreich wachen zu lassen. Werden Trends verschlafen oder schafft es die Plattform nicht, eine kritische Masse an Nutzern anzuziehen, so verschwinden diese Plattformen auch schnell wieder vom Markt.
Was sind das für konkrete Marktveränderungen? Welche Marktdynamiken gibt es denn?
Tobias: Es gibt zahlreiche Modelle, die die Dynamiken von Märkten abbilden. Für unsere Untersuchungen haben wir uns auf ein Modell gestützt, das sich drei Faktoren anschaut. Zum einen ist das ein sich verstärkender Wettbewerb – beispielsweise durch den Markteintritt von neuen, globalen Playern. Ein zweiter Faktor schaut sich verändernde Kundenanforderungen an. Im IIoT-Kontext ist das zum Beispiel eine steigende Nachfrage nach integrierten Service-Systemen, die die virtuelle und physische Welt verbinden. Letztlich ist noch der Einfluss des technischen Fortschritts zu nennen, der neue Anwendungsfälle ermöglicht, weil beispielsweise Sensoren immer kleiner werden und neue Mobilfunkstandards schnellere Datenübertragung erlauben.
Und wie gehen IIoT-Plattformen mit diesen Marktdynamiken um?
Lara: Wir sehen, dass die neuen Funktionen und Angebote, die als Reaktionen auf die Dynamik am Markt offeriert werden, sich in zwei Kategorien einteilen lassen: Basisfaktoren und Motivatoren. Basisfaktoren beschreiben solche Funktionen, die von Kunden gefordert werden und ohne die sie nicht bereits sind, einer Plattform beizutreten. Für Plattformbetreiber ist es besonders in den frühen Phasen wichtig, diese Funktionen zu identifizieren und anzubieten, um eine kritische Masse an Nutzern aufzubauen. Motivatoren, auf der anderen Seite, bedürfen dem Gespür des Plattformanbieters für zukünftige Trends. Die frühzeitige Einführung neuer Technologien auf der Plattform – wie beispielsweise Edge Computing oder Distributed Ledger – kann so zu einem Wettbewerbsvorteil führen.
Sie haben bei den Dynamiken beispielsweise über den stärker werdenden Wettbewerb gesprochen. Können Sie an einem Beispiel erläutern, wie Plattformen dem begegnen?
Lara: Eine Möglichkeit, wie Plattformbetreiber sich vom Wettbewerb abheben können, ist beispielsweise das Angebot der eigenen IIoT-Plattform als White-Label-Lösung – d.h. ohne spezifisches Branding. Das ermöglicht ihren Kunden größtmögliche Flexibilität. Sie können die Plattform nicht nur nach den eigenen Wünschen anpassen, sondern sie gleichzeitig unter ihrer eigenen Marke führen. Ein anderes, besonders aktuelles Beispiel ist die Einführung verbesserter Maßnahmen zur Cybersicherheit auf der Plattform. Speziell vor dem Hintergrund der steigenden Gefahren durch Cyber-Kriminalität, sollten IIoT-Plattformen die sichere Datenübermittlung und -verarbeitung auf der Plattform sicherstellen. Um potentielle Kunden nicht abzuschrecken, müssen die höchsten Datensicherheitsstandards vom ersten Tag an eingehalten und durchgesetzt werden.
Wie werden die weiteren Marktdynamiken von Plattformanbietern adressiert?
Tobias: Wir sehen beispielsweise, dass Kunden immer stärker nach Plug-and-Play-Lösungen verlangen, die sich einfach in die bestehende Systemlandschaft einbetten lassen. Um dieser Kundenanforderung gerecht zu werden, müssen Plattformen nicht nur die nötigen standardisierten Schnittstellen bereitstellen. Plattformbetreiber sollten ihre Plattform ebenfalls für weitere Partner frühzeitig öffnen, um so das Angebot durch Drittanbieter zu erweitern. Das können beispielsweise Softwarefirmen sein, die Services zur Datenanalyse anbieten oder Hardwarehersteller, die Schnittstellen für Sensoren öffnen.
Welche Aspekte werden bei der Entwicklung von IIoT in den kommenden Jahren wichtig sein?
Lara: Wir beobachten einen allgemeinen Trend hin zu einer unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit. Heute geht es viel weniger darum, als Unternehmen Experte in allen Bereichen zu sein. Vielmehr zeigt sich die Bedeutung digitaler Ökosysteme, in denen jeder Partner seine Expertise einbringt. Hierbei bieten Plattformen eine besondere Möglichkeit, diese Zusammenarbeit zu ermöglichen. Gleichzeitig sollten Unternehmen aber auch erkennen, dass mit dem Wandel zur stärken Zusammenarbeit auch ein Kulturwandel einhergehen muss. Wir gehen davon aus, dass die kommenden Jahre vielschichtige Veränderungen mit sich bringen werden. Diese stellen die Unternehmen vor neue Herausforderungen – bringen aber gleichzeitig auch großes Potential mit sich, Mehrwerte für bestehende Kunden zu generieren und völlig neue Kundengruppen zu erschließen.
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