KI-Assistenten erobern den Werkstattservice

KI Service - Industrie 4.0

Von Ralf Schädel, IT-Redakteur und Projektmanager Cloud Services und Gaia-X bei eco – Verband der Internetwirtschaft e.V.

Mehr Effizienz bei der Fahrzeugwartung, eine bessere Beurteilung des aktuellen Zustands von Verschleißteilen und Reparaturen beschleunigen – die Hilfe, die Autowerkstätten und Servicetechniker:innen durch KI-gestützte Tools zu erwarten haben, ist vielversprechend. Lösungen wie die App „Sound Analyser“ von Škoda bieten dem Mittelstand im Wartungsbereich neue Geschäftsmodelle mit Potenzial.


Für viele große Unternehmen ist Künstliche Intelligenz (KI) längst der Schlüssel zur erfolgreichen Kundenbindung. Die selbstlernende Technologie verarbeitet und wertet nutzer:innenbezogene Datenmengen aus, um so individuelle Kundenerlebnisse zu schaffen. Wie auch mittelständische Kfz-Werkstätten mit traditioneller Wertschöpfung eine KI-Applikation bei der Datenanalyse nutzen können, hat das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH (DFKI) in einer Fallstudie erforscht. Der Use Case brachte ein KI-Modell hervor, das aus der durchschnittlichen Fahrleistung von Kundenfahrzeugen ermittelt und prognostiziert, wann der erforderliche Termin für den nächsten Werkstattbesuch stattfinden soll.

Handlungsbedarf erfordert KI-Einsatz

Wie dieser Anwendungsfall zeigt, ist der Wartungs- und Servicebereich von Werkstätten in Bewegung gekommen. Die konventionelle Wartung gilt als überholt und wird den Anforderungen an und den Möglichkeiten von digitalen Services nicht mehr gerecht. Die regelmäßige Überprüfung von Fahrzeugen sollte sich nicht länger an festen Intervallen, sondern an dem individuellen Bedarf und an der Beanspruchung eines Fahrzeugs sowie an Kunden:innen orientieren. Künstliche Intelligenz (KI) bietet hier vielfältige Einsatzmöglichkeiten.

KI erreicht den Mittelstand

Egal, ob Chatbots, Text Mining und digitale Assistenten – den Mittelstand hat KI bereits erreicht. Der Digitalisierungsindex des Bundeswirtschaftsministeriums bestätigt: Der Anteil der KI-nutzenden Unternehmen hat sich von 2020 auf 2021 gegenüber den Vorjahren fast verdoppelt. Smarte Systeme, um Sprache via Natural Language Processing (NLP) zu verarbeiten, unterstützen bereits vielerorts die Arbeit in Bereichen wie dem Onlinevertrieb, dem Kundenservice oder der IT.

Keine Hürden beim Einstieg

Niedrigschwellige KI-Einstiege wie diese sind für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) aus zwei Gründen geeignet: Zum einen halten sich Aufwand und Risiko bei den vortrainierten Applikationen in überschaubaren Grenzen. Zum anderen bringen die Anwendungen die Unternehmen auf den Geschmack. Laut Digitalisierungsindex Mittelstand 2020/2021 erkennen immer mehr Mittelständler das Potenzial datengetriebener Geschäftsmodelle. Firmen setzen auf KI- und Software-basierte Lösungen, um Prozesse zu verschlanken, Produkte und Services entlang der Wertschöpfungskette zu verbessern.

Kund:innen besser verstehen

Mit erfassten Daten und entwickelten Algorithmen lassen sich größere Schäden an Fahrzeugen vermeiden, deren Einsatzfähigkeit und Betriebssicherheit gewährleisten und vorausschauende Instandhaltung, Predictive Maintenance, umsetzen. „Wir werden auch künftig konsequent Technologien aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz nutzen, um unseren Kunden einen noch individuelleren Service und damit eine noch bessere Customer Experience zu bieten“, sagt Stanislav Pekar, Leiter von Skoda Auto After Sales.

Datenbasierter Service zur aktiven Kund:innenansprache

Derartig flexible Servicepläne bieten Werkstattbetreiber:innen nicht nur die Möglichkeit zu einem Cross-Selling für andere Dienstleistungen, wie beispielsweise das Wechseln von Bremsscheiben. Auch eine gezielte und vor allem aktive Kund:innenansprache kann realisiert werden. Diese bleibt bis jetzt bei unabhängigen Werkstätten eher auf der Strecke, da Informationen über das individuelle Fahrverhalten fehlen.

Per Algorithmus zur Wartungsentscheidung

Praxisbeispiele für die effiziente Verwendung von KI im Wartungsbereich gibt es bereits: Der schwedische Hersteller von Nutzfahrzeugen Scania hat über ein Telematiksystem mehr als 360.000 Lkw miteinander vernetzt, um regelmäßig Betriebsdaten wie die der Laufleistung, Geschwindigkeit, Öl- und Motortemperatur sowie des Kraftstoffverbrauchs zu erfassen. Der Datenpool ist die Grundlage eines errechneten Algorithmus, der individuelle Wartungsentscheidungen für jede Komponente und für jedes Bauteil zulässt.

App diagnostiziert Fehler mittels Sound-Analyse

Nicht anders bei Škoda. Der tschechische Autohersteller erprobt seit Juni 2019 in mittlerweile 16 Ländern und 367 Autohäusern eine App namens „Sound Analyser“ mit der Servicetechniker:innen per Smartphone oder Tablet eine Diagnose von Problemen erfassen können. Die App zeichnet während der Fahrt Audioaufnahmen von Betriebsgeräuschen auf und vergleicht diese Mitschnitte mit Klangmustern, die in einer Datenbank gespeichert sind. Unter Einbeziehung verschiedener fahrzeugspezifischer Parameter verfolgt die App das Ziel, zuverlässig und schnell den aktuellen Zustand von Verschleißteilen zu beurteilen und auf nötige Wartungsarbeiten hinzuweisen.

Ursachenforschung und Lösungsvorschläge sind möglich

Stellt die Anwendung anhand von Geräuschen Unregelmäßigkeiten fest, ermittelt sie über neuronale Netze, wie sich diese Abweichungen eventuell ergeben haben und wie sie sich am besten beheben lassen. Dabei wandelt die App die Tonaufnahme zunächst in ein Spektrogramm um, das Schallsignale bildlich darstellt. KI vergleicht diese Darstellung dann mit den hinterlegten Werten, sodass Abweichungen zu erkennen sind. Die App grenzt somit einen möglicherweise anstehenden Wartungs- oder Reparaturbedarf ein und verkürzt Werkstattaufenthalte durch präzise Diagnosen.

Mit KI zu mehr Effizienz beim Fahrzeugservice

Laut Škoda erkennt die lernfähige App zunehmend mehr Klangmuster. Und das mit einer Genauigkeit von über 90 Prozent für Baugruppen wie das Lenkgetriebe, den Kompressor der Klimaanlage oder die Kupplungen des Direktschaltgetriebes. Da der „Sound Analyser“ zudem neue Klangmuster ausmacht und selbstständig in die Datenbank einpflegt, sollen die Bandbreite der Klangmuster der Sound-Erkennung wachsen und die Diagnosen selbst nach und nach an Präzision gewinnen.

Service-Meister und OGE: Anomalien erkennen, Servicebedarf prognostizieren

Open Grid Europe (OGE) ist ebenfalls interessiert, Probleme über KI automatisch zu klassifizieren und remote zu lösen. So ist der Erdgasnetzbetreiber dazu verpflichtet, sich regelmäßig vom kathodischen Korrosionsschutz (KKS) seines Leitungssystems zu überzeugen. Täglich müssen die an ein zentrales Competence Center übertragenen Sensorsignale des rund 12.000 Kilometer langen Fernleitungsnetzes geprüft werden. Aktuell geschieht dies auf rein statistischen Ansätzen auf Basis der bisherigen Messwerte eines Sensors. Mit KI soll das zentrale Monitoringsystem Auffälligkeiten erkennen, klassifizieren und einen ersten Hinweis auf die Art einer potenziellen Störung geben – und das vollautomatisch.

Kosten und Ressourcen sparen

Zur Vereinfachung dieses Monitorings, aber auch zur Reduzierung von Service- und Personalkosten arbeitet OGE im Schnellboot von Servicemeister mit dem Implementierungspartner USU Software an einer KI-Lösung. Diese soll als kostengünstige Fernüberwachungsvariante betrieben werden. Mehr Effizienz kann außerdem erzielt werden, indem Experten:innen nur noch relevante Fälle mit potenziell echten Störfällen begutachten, anstatt „Fehlalarme“ zu sichten und zu bewerten.

Schritt für Schritt zur KI-Hilfe

Mit den Methoden einer lernenden KI sollen weitere Faktoren wie beispielsweise Umwelteinflüsse berücksichtigt und damit die Anzahl von zu prüfenden Auffälligkeiten noch weiter reduziert werden. Erkannte und klassifizierte Auffälligkeiten und daraus resultierende Handlungsempfehlungen in Form von Serviceaufträgen machen KI-basierte Chatbots zu Werkstatthelfern.

Digitale Geschäftsmodelle sind ein Muss Für Škoda und OGE hat die Zukunft längst begonnen. Die VW-Tochter richtet sich entsprechend ihrer Strategie 2025 ganz auf die Digitalisierung aus. Bei der Transformation zur „Simply Clever Company für beste Mobilitätslösungen“ denkt man der Künstlichen Intelligenz eine Schlüsselrolle zu. Die „Sound Analyser“-App will das Unternehmen künftig in neue Modelle integrieren – und die Online-Verbindung des Fahrzeugs nutzen, um im Bedarfsfall direkt einen Termin in der Werkstatt zu vereinbaren.


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Bildnachweis: © Škoda