Von Lara Riefle, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl “Digital Service Innovation” des KSRI/IISM am Karlsruher Institut für Technologie
Digitale Plattformen bilden einen zentralen Baustein bei der Digitalisierung; durch sie werden Marktstrukturen und -dynamiken grundlegend verändert. Im B2C-Sektor nehmen einzelne digitale Plattformen wie Google, Facebook oder AirBnB eine nahezu monopolistische Stellung ein. Doch auch im B2B-Bereich werden digitale Plattformen immer wichtiger [1], so z.B. im IoT-Umfeld. Insbesondere für KMU gehen Experten von einer stark steigenden Relevanz in den nächsten 5-10 Jahren aus [2].
Digitale Plattformen verknüpfen unterschiedliche Akteursgruppen (z. B. Kunden, Lieferanten, Nutzer, Dienstleister, Kooperationspartner), koordinieren deren Interaktion und ermöglichen den Austausch von Informationen oder Leistungen. Dadurch bieten sie Unternehmen enormes Potential für die strategische Entwicklung [3, 4]: Beispielsweise ermöglichen sie Zulieferern eine größere Unabhängigkeit von großen Kunden. So zeigt eine Studie, dass bereits heute 52% der deutschen Unternehmen digitale Plattformen nutzen, um Produkte und Dienstleistungen zu vertreiben [5]. Überdies bieten digitale Plattformen die Chance zur Innovation: Mit ihrer Hilfe können neue Dienstleistungen, Geschäftsmodelle und Märkte geschaffen und Kundenbeziehungen vertieft werden. So ermöglichen es digitale Plattformen Unternehmen, große Datenmengen zu erheben, um damit Kundenbedürfnisse zu identifizieren und das Angebot entsprechend zu verbessern. Außerdem können digitale Plattformen neue Möglichkeit der Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen bieten, von Zulieferern bis Kunden aber ebenso Wettbewerbern, die dadurch zu Partnern werden. Gemeinsam können so innovative Geschäftsmodelle entwickelt und (neuen) Kunden maßgeschneiderte Lösungen angeboten werden. Unternehmen aller Größen können von digitalen Plattformen profitieren und immer mehr Firmen beginnen, dieses Potential zu nutzen, indem sie eigene Plattformen aufbauen.
Überlegungen bei der Gestaltung digitaler Plattformen
Beim Aufbau einer digitalen Plattform haben Unternehmen verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten, die sich laut der Studie „Opening the Black Box of Digital B2B Co-Creation Platforms: A Taxonomy“ [6] des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) in drei Themenbereiche gliedern lassen. Der erste Themenbereich umfasst dabei die Gestaltung der Wertschöpfung auf der digitalen Plattform. Was ist das zentrale Wertversprechen, das die Plattform den TeilnehmerInnen bietet? Wie werden Erlöse generiert? Wertversprechen reichen vom Angebot grundlegender Gerätemanagement-Services (z.B. Telekom Cloud of Things Plattform), über die effiziente Verwaltung und Handel von Daten (z.B. Aviation DataHub), bis zu IoT-Plattformen mit erweiterten Analysefunktionalitäten (z.B. Cumulocity IoT). Ebenso vielseitig können die Erlösmodelle sein: Während die Nutzung mancher Plattformen für NutzerInnen kostenfrei ist (z.B. DeviceHive), wenden andere u.a. transaktionsbasierte Modelle (bspw. je Gerät, z.B. HPE Universal IoT Plattform), Modelle auf Abonnementbasis (z.B. PTC ThingWorx) oder Kombinationen hiervon (z.B. GE Predix) an. Doch um Wertschöpfung auf der Plattform überhaupt zu ermöglichen, wird eine entsprechende Plattform-Architektur benötigt, die den zweiten wesentlichen Gestaltungsbereich bildet. Neben der Integration der Plattform in die Unternehmens-IT-Systeme (von Stand-alone-Plattform bis End-to-End-Integration), ist hier u.a. die Offenheit der Plattform von großer Bedeutung. Einen Teilaspekt der Plattform-Offenheit stellt dabei die Modifizierbarkeit des zugrundeliegenden Codes dar: Das Spektrum reicht von vollständig proprietären Plattformen (z.B. VW Discovery), die nur in Kombination mit bestimmten Geräten verwendet werden können und Entwicklern keine Anpassung des Codes erlauben; bis zu Open-Source-Plattformen (z.B. thinger.io), deren Code flexibel an eigene Anforderungen angepasst werden kann. Der dritte zentrale Gestaltungsbereich ist das Ökosystem der Akteure, deren Kern die Plattform bildet. Beim Aufbau einer Plattform sollten sich Anbieter insbesondere auch Gedanken zur Zielgruppe machen. Soll die Plattform rein unternehmensintern, von Kunden innerhalb der eigenen Branche (z.B. DKE agrirouter) oder auch außerhalb (z.B. Watson IoT) genutzt werden? Sollen regionale oder nationale NutzerInnen (z.B. SupplyOn Railsupply) adressiert werden oder soll die Plattform global ausgerichtet sein (z.B. Siemens MindSphere)? Welche Partner – z.B. komplementäre Serviceanbieter oder Technologiepartner – sollen integriert werden? Welche Anreize zur Plattformteilnahme werden geboten? Die Ausgestaltungsmöglichkeiten für Plattform-Anbieter sind vielseitig und hier wurde nur eine Auswahl vorgestellt. Für tiefergehende Informationen und Erläuterungen sei auf die Studie des KIT verwiesen.
Herausforderungen beim Aufbau einer digitalen Plattform meistern
Der Aufbau einer eigenen digitalen Plattform stellt Unternehmen vor neue Herausforderungen: Sie müssen sich nicht nur für eine Ausgestaltung entscheiden, sondern auch ein Team zusammenstellen, das das Projekt „Plattform-Aufbau“ in die Hand nimmt und die digitale Plattform implementiert. Eine zweite Studie „Industrial Corporation’s Transformation into a Digital Platform Provider: A Case Study on Enablers“ [7] des KIT kann Unternehmen dabei eine wertvolle Orientierung bieten. Die ForscherInnen des KIT haben ein Unternehmen beim Plattform-Aufbau begleitet und daraus praktisch umsetzbare Erkenntnisse abgeleitet, welche Aktivitäten und Fähigkeiten Unternehmen bei der Gestaltung und Implementierung einer digitalen Plattform helfen können. Die Ergebnisse werden im Folgenden kurz zusammengefasst, eine ausführlichere Beschreibung finden Sie in der entsprechenden Veröffentlichung.
Den Blick zu einer Ökosystem-Perspektive weiten. Zu Beginn des Plattform-Projektes sollten Unternehmen reflektiert die eigenen Kompetenzen bewerten und Stärken identifizieren. Ebenso wird diese Selbst-Beurteilung Bereiche aufzeigen, in denen die Unterstützung eines Partners mit ergänzenden Kompetenzen von Vorteil sein kann. Beispielsweise könnte ein Unternehmen mit langjähriger Erfahrung im Anlagenbau durch Partnerschaften mit IT-Unternehmen oder komplementären Service-Anbietern profitieren. Durch Marktforschung und Wettbewerbsanalysen können Unternehmen geeignete Partner identifizieren, sowie gleichzeitig Kundenbedürfnisse in Bezug auf das Angebot einer digitalen Plattform besser verstehen. Unterstützt durch diese(n) Partner kann dann der eigentliche Plattform-Aufbau in Angriff genommen werden.
Diverse Teams als Grundvoraussetzung. Schon bei der Zusammenstellung des Teams, das mit dem Plattform-Aufbau betraut wird, werden die Grundlagen für den Erfolg des Projekts geschaffen. Bestenfalls sollte im Team selbst bereits eine Vielfalt an Wissen und Fähigkeiten vorhanden sein, um darauf mit entsprechendem Wissensaustausch über die Team- und Unternehmensgrenzen hinweg aufzubauen. Darüber hinaus sollte sichergestellt werden, dass das Team über die benötigte Entscheidungsautonomie und ausreichend Ressourcen verfügt, um effizient arbeiten zu können.
Durch kontinuierliches Feedback zur „finalen“ Plattform. Beim Konzipieren und Implementieren der Plattform-Lösung ist ein agiler Ansatz förderlich. Es bietet sich an, mit einer eingeschränkten Plattform-Version zu beginnen, und diese iterativ durch weitere Funktionalitäten zu erweitern. Dadurch wird nicht nur die Komplexität der Plattform-Implementierung reduziert und die Entwicklungsgeschwindigkeit erhöht. Es erlaubt Unternehmen zusätzlich, immer wieder Kunden-Feedback einzuholen und regelmäßig über die Relevanz neuer Design Features zu entscheiden. Gleichzeitig zeigt die Studie des KIT aber auch, dass bei der Verfolgung des neuen, innovativen Plattform-Projektes, das traditionelle Geschäft nicht außer Acht gelassen werden darf. Vertreter des Kerngeschäfts sollten in Entscheidungen miteinbezogen werden und etablierte Prozesse berücksichtigt werden.
“Teamwork makes the dream work”. Die Ergebnisse der Studie des KIT unterstreichen die vertrauensvolle Zusammenarbeit im Team sowie mit dem/den Partnerunternehmen als ein zentrales Element beim Plattform-Aufbau. Direkt zu Beginn sollte gemeinsam eine Vision erarbeitet werden, die die strategischen Interessen aller Beteiligten miteinander in Einklang bringt. Die transparente Kommunikation dieser Vision erleichtert effiziente Entscheidungsprozesse und gewährleistet, dass alle auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten. Zuverlässiges Einhalten von Vereinbarungen sowie regelmäßige und klare Kommunikation auf Augenhöhe fördern zusätzlich die Bildung von Vertrauen. Zu guter Letzt sollte auch der Einfluss einzelner Team-Mitglieder auf das Engagement des ganzen Teams nicht unterschätzt werden. Die Studie des KIT zeigte, dass sich bereits die Motivation und das Durchhaltevermögen eines einzelnen Team-Mitglieds positiv auf die Performance des gesamten Teams auswirken können.
Zusammenfassend wird deutlich, dass Unternehmen das große Potential digitaler Plattformen nutzen können, wenn sie mit Bedacht an deren Entwicklung und Aufbau herangehen.
Die vorgestellten Studien des KIT können hier kostenfrei herunterladen werden:
- Abendroth, J., Riefle, L., & Benz, C. (2021). Opening the Black Box of Digital B2B Co-Creation Platforms: A Taxonomy. In Proceedings of the 16th International Conference on Wirtschaftsinformatik (WI). https://www.researchgate.net/publication/348326720_Opening_the_Black_Box_of_Digital_B2B_Co-Creation_Platforms_A_Taxonomy
- Riefle, L., Eisold, M. & Benz, C. (2021). Industrial Corporation’s Transformation into a Digital Platform Provider: A Case Study on Enablers. In Proceedings of the 23rd IEEE Conference on Business Informatics (CBI). https://www.researchgate.net/publication/354339339_Industrial_Corporation’s_Transformation_into_a_Digital_Platform_Provider_A_Case_Study_on_Enablers
- Lichtblau, K., Institut der deutschen Wirtschaft Köln Consult GmbH: Plattformen – Infrastruktur der Digitalisierung. (2019).
- Lundborg, M., Gull, D.I.: Digitale Plattformen als Chance für den Mittelstand. (2019).
- Klute, N.: Plattformökonomie im Mittelstand: Warum es offene Standards und Konsortien braucht, https://www.servicemeister.org/2021/05/25/plattformoekonomie-im-mittelstand-warum-es-offene-standards-und-konsortien-braucht/, (2021).
- Böhman, T., Roth, A., Satzger, G., Grotherr, C., Schymanietz, M., Wolff, C., Benz, C., Falk, S., Frank, J., Ganz, W., Hipp, C., Leimeister, J.M., Stich, V.: High-Tech meets High-Touch. Die Dienstleistungswende als Chance für die Wertschöpfung und Beschäftigung der Zukunft. (2020).
- Staufen AG, Staufen Digital Neonex GmbH: Inudstrie 4.0. (2018).
- Abendroth, J., Riefle, L., Benz, C.: Opening the Black Box of Digital B2B Co-Creation Platforms: A Taxonomy. In: 16th International Conference on Wirtschaftsinformatik. pp. 1–16 (2021).
- Riefle, L., Eisold, M., Benz, C.: Industrial Corporation’s Transformation into a Digital Platform Provider: A Case Study on Enablers. In: 2021 IEEE 23rd Conference on Business Informatics (CBI). pp. 131–140 (2021).
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