Von Nils Klute, IT-Fachredakteur und Projektmanager Kommunikation Cloud Services bei EuroCloud Deutschland_eco e.V.
Funktionslose Akkus, durchtrennte Netzleitungen und gebrochene Gerätegehäuse – im Schnellboot wollen Würth und grandcentrix häufige Fehlerbilder analysieren und damit Ausfallzeiten auf der Baustelle verkürzen. Wie Machine Learning (ML) und Natural Language Processing (NLP) defekte Geräte und Techniker schneller zusammenbringen.
Von Akku-Schrauber über Säbelsägen bis hin zu Winkelschleifern – seit rund zwei Jahren stellt Würth eigene Powertools her. Egal, ob für den Innenausbau, Elektroarbeiten oder den Holzbau – es gibt kaum eine Anwendung in Handwerk und Industrie, für die der Weltmarktführer im Bereich Montage- und Befestigungsmaterial nicht das passende Produkt bietet. „Wir entwickeln uns vom Händler zum Hersteller“, sagt Jannik Brutzer von Würth. Was zum Portfolio dazugehört? Der passende Maschinenservice. „Mehr als 140.000 Reparaturfälle bearbeiten wir pro Jahr“, sagt Brutzer, der die Logistik im Würth-Reparaturbetrieb MASTERSERVICE leitet. Was dabei besonders herausfordernd ist? „Immer schneller und besser zu werden“, sagt Brutzer: „Wir möchten unsere Serviceprozesse optimieren, um Durchlaufzeiten zu reduzieren.“
KI und Mittelstand im Service: Abläufe beschleunigen, Kosten sparen
Das Ziel verfolgt nicht nur Würth. Überall im Mittelstand suchen Firmen nach Antworten, um Anlagen verfügbar, Maschinen einsatzbereit und Produkte funktionsfähig zu halten. Eine Lösung, die auch als Blaupause für andere funktionieren kann, entwickelt Service-Meister. Dazu realisiert Service-Meister in den sechs Schnellbootprojekten ein künstlich intelligentes (KI) Ökosystem für den technischen Service im Industrie 4.0-Zeitalter. Zwar arbeiten Würth und Implementierungspartner grandcentrix jetzt daran, Predictive Maintenance in den Werkzeugkoffer aus Künzelsau zu bringen, aber Service-Meister wird alle Projektergebnisse später abstrahieren und offen bereitstellen, damit jedes interessierte Unternehmen die KI-Bausteine einsetzen kann. So sollen digitale Ratgeber, Chatbots, Augmented Reality-Anwendungen und Apps Meisterwissen deutschlandweit skalierbar machen.
Egal, ob Rotationslaser, Nass- und Trockensauger oder Hochdruckreiniger: „Unsere Produktpalette ist breit und Zeit auf der Baustelle wertvoll“, sagt Phil Merz, Internet-of-Things(IoT)-Experte bei Würth. „Unser Ziel ist es, Servicefälle möglichst frühzeitig erkennen zu können, um unsere internen Ressourcen optimal einzusetzen.“ Und das am besten noch bevor Kunden im MASTERSERVICE anrufen, Defekte per Mail beschreiben oder Geräte in einer Niederlassung abgeben. „Aktuelle Fehlerbeschreibungen beinhalten keinerlei technische Details, sodass die Fehleranalyse heute sehr komplex ist“, sagt Brutzer. Ein aufwändiges, kostspieliges und zeitintensives Verfahren.
Vernetzte Werkzeugmaschinen beschleunigen Reparaturzeiten
IoT-Daten sollen den Ablauf vereinfachen und beschleunigen. Dazu überlegt Würth, seine Powertools zu vernetzen. „Kunden könnten die smarten Geräte mit einer App koppeln, Betriebsdaten und Zustandsparameter auslesen und an den MASTERSERVICE übertragen“, sagt Merz. Informationen über den Gesundheitszustand lassen sich dann nutzen, um Defekte frühzeitig zu erkennen. Merz: „So hängen wir weniger stark von der individuellen Fehlerbeschreibung ab, könnten bereits remote erkennen, ob das Gerät eine Wartung erfordert – und planen diese direkt beim richtigen Servicetechniker zur passenden Zeit ein.“
Individuelle Fehlerbeschreibungen auf tatsächliche Defekte beziehen
Was verlockend klingt und sinnvoll scheint, ist aber momentan vor allem eines: „Noch Zukunftsmusik“, sagt Laura Ohrndorf, Data Scientist bei grandcentrix. „In den nächsten Wochen machen wir erste Tests mit IoT-Daten aus den Geräten.“ Seit Projektstart hat Ohrndorf mit historischen Daten gearbeitet, um ihre ML-Modelle zu trainieren. „So haben wir eine Datenpipeline aufgebaut, durch die wir die Messwerte jetzt schicken können“, sagt Ohrndorf. „Individuelle Fehlerbeschreibungen lassen sich dann auf reale Maschinendaten beziehen, um Defekte zu klassifizieren und schließlich möglichst genau vorherzusagen.“
Um die ML-Modelle zu trainieren, hat die Informatikerin Serviceinformationen explorativ analysiert. „Würth hat uns Datensätze aus seinen ERP-Systemen zur Verfügung gestellt“, sagt Ohrndorf. Mit NLP-Algorithmen für die Sprachverarbeitung hat grandcentrix die Tickets dann ausgewertet, um die individuellen Beschreibungen mit den vom MASTERSERVICE tatsächlich diagnostizierten Fehlern abzugleichen. Ohrndorf: „So konnten wir bereits erkennen, welche Defekte bei einem Gerät in bestimmten Anwendungen besonders häufig auftreten.“
Vielfältige Use Cases im Mittelstand mit Servicedaten
Was dabei herausfordernd war? Die Qualität der Datensätze. „Alles hängt davon ab, wie genau und ausführlich die Fehler beschrieben sind“, sagt Ohrndorf. „Ist lediglich klar, dass sich ein Gerät nicht mehr einschalten lässt, kann dies viele Ursachen haben.“ Merz: „Wie wurde das Gerät benutzt, als der Defekt auftrat? Unter welchen Bedingungen war es im Einsatz? Und wie lange war es bereits in Betrieb?“ Ohrndorf: „Je mehr Informationen in die ML-Modelle fließen, desto besser werden die Ergebnisse.“ Und: „Desto vielfältiger werden die Use Cases mit Servicedaten!“, sagt Brutzer.
Mittelstand und Service: Datenbasierte Dienste aufbauen
Was das beispielsweise heißt: „Akkuschrauber sind für den Innenausbau perfekt“, sagt Brutzer, „unter besonderen Bedingungen stellen wir jedoch häufiger Defekte fest.“ Brutzer: „Nicht immer sind die Zusammenhänge offensichtlich.“ Über die Datenanalysen gewinnt Würth Erkenntnisse, die sich nutzen lassen, um Anwendern für ihre Arbeiten ein vielleicht besser geeignetes Gerät aus dem Sortiment zu empfehlen. Brutzer: „So bauen wir datenbasierte Use Cases auf, die weit über das reine Servicegeschäft hinausgehen.“
Vernetzte Geräte, intelligente Prozesse und datenbasierte Business Modelle: Hersteller und Kunden profitieren von neuen Anwendungen. Beispielsweise lassen sich smarte Maschinen in der Werkstatt leichter finden. „Über die Smartphone-App können Nutzer ein bestimmtes Gerät orten, um es wiederaufzufinden“, sagt Merz. In der Zukunft könnten individuelle Konfigurationen auf die Werkzeuge geladen werden, um sie einzustellen und vorzurüsten. „Das hebt nicht nur den Service auf das nächste Level“, sagt Brutzer, „sondern das komplette Nutzererlebnis.“
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